Cover
Titel
Limyra. Studien zu Kunst und Epigraphik in den Nekropolen der Antike


Autor(en)
Borchhardt, Jürgen; Pekridou-Gorecki, Anastasia
Reihe
Forschungen in Limyra 5
Erschienen
Anzahl Seiten
465 S., 100 Taf., 6 Beilagen in separatem Schuber
Preis
€ 179,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Oliver Hülden, Österreichisches Archäologisches Institut / Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien

Mit der Myra-Expedition von 1965 haben die Forschungstätigkeiten von Jürgen Borchhardt in Lykien begonnen, und seither bestimmen seine mitunter unkonventionellen Auffassungen zu nahezu allen Bereichen der antiken lykischen Kultur den wissenschaftlichen Diskurs zu dieser wichtigen kleinasiatischen Region mit. Seit seiner Emeritierung im Jahr 2001 hat Borchhardt damit begonnen, sich der noch unveröffentlichten Ergebnisse jener Forschungen anzunehmen, die von ihm selbst, Mitarbeitern aus anderen Fachdisziplinen und der Schar seiner Schüler im Umfeld der österreichischen Limyra-Grabung getätigt worden sind. Ein Resultat dieses Schaffens bildet der zu besprechende Sammelband, den Borchhardt gemeinsam mit Anastasia Pekridou-Gorecki und diversen weiteren Autoren verfasst hat und der zwei Aspekten der lykischen Grabkultur klassischer Zeitstellung gewidmet ist: der künstlerischen Ausstattung der Gräber von Limyra und den mit ihnen verbundenen Inschriften.

Nach einem doppelten Vorwort, einer Einleitung und einem knappen Überblick zur Lage und Benennung der verschiedenen Nekropolenareale folgt der mit A bezeichnete erste Teil des Buches. Er stammt im Wesentlichen aus der Feder von Pekridou-Gorecki und stellt eine umfangreiche Analyse der mit den limyräischen Gräbern verbundenen Bildthemen dar. Lediglich die etwas ausufernde Untersuchung zu den mythologischen Szenen – darunter vor allem der Kampf zwischen Arimaspen und Greifen – geht größtenteils auf eine eingebundene Magisterarbeit aus den 1980er-Jahren von Viktoria Üblagger zurück. Neben diesen Szenen aus dem Bereich des Mythos werden solche des Friedens, Wagenrennen, Bilder des Krieges, thematisch nicht einzuordnende Darstellungen, Bilder mit religiösem oder kultischem Inhalt, Bilder aus dem höfischen Leben und ein Tierfries voneinander geschieden – eine Unterteilung, die wegen ihrer Überschneidungen sicherlich auch besser hätte vorgenommen werden können. Die Analyse der einzelnen Darstellungen versucht stets, demselben Schema einer von hermeneutischen Anmerkungen gefolgten detaillierten Beschreibung zu folgen, was allerdings nicht immer gelingt. Außerdem dürfte ein mit Limyra nicht allzu sehr vertrauter Leser bisweilen den Überblick verlieren, von welchem Grab gerade die Rede ist, zumal der knappe Katalog, der hier Abhilfe verschafft, etwas versteckt im Buch platziert ist.

Zur Deutung der Bilder werden fast regelmäßig antike, manchmal auch moderne Textstellen in voller Länge herangezogen. Diese betreffen jedoch nur ganz selten Lykien selbst, zu dem nur eine begrenzte literarische Überlieferung vorliegt, und dennoch werden sie zur Rekonstruktion der dortigen Verhältnisse herangezogen. Das geschieht gewöhnlich aus zwei unterschiedlichen Richtungen: Auf der einen Seite sind es Anleihen aus dem griechischen, zuvorderst athenischen Bereich, und auf der anderen Seite sind es persische Anleihen, deren weitgehende Übernahme auf Lykien postuliert wird. Beispielhaft lässt sich das an den Ausführungen zu den lykischen Wagenfahrtdarstellungen zeigen (S. 79–88). Hier wird postuliert, Wagenrennen seien gewissermaßen ein Teil des Alltags der lykischen Eliten gewesen, die ähnlich wie die griechischen Tyrannen Siziliens, auf die sich die zusammengetragenen Schriftquellen beziehen, regelrechte Rennställe unterhalten hätten. Die einzigen, freilich alles andere als eindeutigen Belege für diese Annahme, die aus Lykien selbst stammen, stellen die Wagenszenen selbst und die Nennung eines „Herrn der Pferde“ in TL 128 dar. Während beispielsweise Havva Işkan in der Frage, ob die dargestellten Wagenfahrten überhaupt etwas mit der lykischen Realität des 4. Jahrhunderts v.Chr. zu tun haben, schon länger vor Überinterpretationen gewarnt hat (siehe den Verweis auf sie S. 85 mit Anm. 239), möchte sich Pekridou-Gorecki auf ihre durch allenfalls mutmaßliche Analogien bestätigte subjektive Vorstellungskraft verlassen. Das ist in methodischer Hinsicht ein durchaus fragwürdiges Vorgehen, und dieses zieht sich wie ein roter Faden durch viele der in der Folge zu anderen Bildthemen vorgenommenen Deutungen.

Nur selten setzt sich Pekridou-Gorecki von Deutungen ab, die der langjährige Grabungsleiter von Limyra selbst vorgenommen hat. Ein Beispiel dafür bilden die beiden sitzenden Männer und der zwischen ihnen stehenden nackte Jüngling auf der Nordseite des Sarkophags des χñtabura (S. 106–110). Laut Borchhardt soll die Szene das Eindringen orphisch-pythagoreischer Glaubensvorstellungen in Lykien bezeugen – eine Deutung, die bereits bei ihrer erstmaligen Publikation im selben Aufsatz von sprachwissenschaftlicher Seite auf erhebliche Zweifel gestoßen ist.1 Pekridou-Gorecki mag sie dennoch nicht verwerfen, setzt ihr aber immerhin die eigene Interpretation entgegen, in der Szene philosophische Gespräche erkennen zu wollen. Das ist freilich ähnlich spekulativ und mündet charakteristischerweise in einem bisher unbewiesenen Diktum Borchhardts, wonach Limyra bereits im frühen 4. Jahrhundert v.Chr. ein Gymnasium besessen habe.2

Teil B, den ebenfalls Pekridou-Gorecki verfasst hat, wendet sich den Realien in den Darstellungen zu. Neben Spezifika der Kleidung, Frisuren, Helmformen, Waffen, Gefäßformen und des Mobiliars werden die diversen Tiere auf den Bildern ausführlich und übersichtlich abgehandelt. Der dritte Teil (C) geht dann auf Borchhardt zurück, der sich unter Einbeziehung nicht-limyräischer Monumente und mit scharfem Blick mit stilistischen Fragen auseinandersetzt und zu einer chronologischen Abfolge gelangt, wobei er grundsätzlich von Stilpluralismus anstatt einer linearen Entwicklung ausgeht. Ein Stelenfragment mit dem Rest eines Reiterreliefs möchte er – durchaus fragwürdig – dem zweiten Viertel des 5. Jahrhunderts v.Chr. zuweisen (S. 223–224), wohingegen er die übrigen bildlichen Darstellungen und ihre Träger auf die Zeitspanne zwischen 400 und den 340er-Jahren v.Chr. verteilt. Die chronologische Eingrenzung der einzelnen Denkmäler erfolgt meist auf ungefähr ein Jahrzehnt genau. Synoptische Tabellen am Ende des Beitrags stellen die Datierungen Borchhardts den bisweilen etwas nach oben oder unten abweichenden Vorschlägen anderer Forscher gegenüber und sorgen für ein hohes Maß an Übersichtlichkeit (S. 249–251).

Trotz vieler wichtiger Beobachtungen etwas antiquiert muten an diesem stilistischen Teil Borchhardts Versuche an, anhand der einzelnen Darstellungen zahlreiche Meisterhände zu unterscheiden, die zudem gelegentlich an verschiedenen, auch räumlich weiter voneinander entfernten Denkmälern gewirkt haben sollen. Ein wenig inkonsequent ist es ferner, dass der Autor es oft nicht bei einer reinen Stilbetrachtung belässt, sondern immer wieder inhaltliche Deutungen in die Ausführungen mit einfließen. Ein Beispiel bildet die eigenwillige Identifizierung der Kämpfer auf dem Großen Sockelfries des Nereiden-Monuments von Xanthos als koalierende Perser, Spartaner und Lykier im Kampf gegen die Athener während des Peloponnesischen Krieges (S. 205f.). Darüber hinaus ist anzumerken, dass es Lesern, die bisher nur wenig mit den über Jahrzehnten gewachsenen Gedankengängen Borchhardts zu Limyra und Lykien in Berührung gekommen sind, mitunter schwer fallen dürfte, den Überlegungen zu folgen (so etwa S. 207, wo die postulierten historischen Hintergründe für den Kleinen Sockelfries des Nereiden-Monuments als bekanntes Allgemeingut vorausgesetzt werden, oder S. 247, wo der Leser völlig unvermittelt mit Details des Grabs des Apollonios nahe Olympos konfrontiert wird).

Auch im Teil D bleibt Borchhardt seinem Stil treu. Er ist mit „Hermeneutische Versuche“ überschrieben, und in ihn ist erneut eine ältere und wiederum etwas weitschweifige Magisterarbeit, diesmal aus der Feder von Ronald Schwienbacher zum Thema Frauenraub, integriert. Borchhardts Deutungssuche geht hier weit über diejenige von Pekridou-Gorecki hinaus und dient vor allem dazu, schon seit vielen Jahren vorgetragene eigene Hypothesen zu erweitern und zu verfestigen. Viele Auffassungen sind allerdings schwerlich zu teilen, und die Forschung hat auch schon verschiedentlich an ihnen Kritik geübt, wobei sich Borchhardt nur selten näher mit den vorgebrachten Argumenten auseinandergesetzt hat. Die Titulierung einzelner Grabherren mit Amtsbezeichnungen wie „Hofkämmerer“ (S. 257–260), „Hofschatzmeister“ (S. 260f.) oder „Hofpoet“ (S. 273f.) lässt sich beispielsweise schwerlich aus den bildlichen Darstellungen oder den Inschriften heraus erweisen (vgl. etwa S. 396). Ebenso dünn ist ferner die Belegsituation für die Auffassung, in Limyra habe ein Palast existiert, an dessen Hof mehr oder weniger persische Verhältnisse geherrscht hätten und außerdem eine Gruppe von Zoroastriern zugegen gewesen sei.

Die Teile E und F enthalten zunächst knappe Notizen über das Wenige, was bislang zu den hellenistischen und kaiserzeitlichen Nekropolen Limyras bekannt ist. Hohe Bedeutung kommt dem dann ausführlicheren Beitrag von Viktoria Stuppner zu den weitgehend fragmentarisch erhaltenen kaiserzeitlichen Sarkophagen zu, der zu den informativsten und daher gewinnbringendsten des gesamten Bandes gehört. Er vereint eine kundige Darstellung des aktuellen Stands der lykischen Sarkophagforschung und eine solide Einordnung der limyräischen Stücke, was sich beispielhaft am Exemplar eines Girlandensarkophags aus prokonnesischem Marmor zeigen lässt (S. 348–360). Erwähnenswert ist ferner der erstmalige Nachweis eines attischen Sarkophags in Lykien.

Knappe Abhandlungen zu einem fragmentarisch erhaltenen Sarkophagdeckel mit Darstellung der Psyche von Şehrazat Karagöz und zu zwei Grabstelen von Martin Seyer schließen die kunstgeschichtlichen Analysen ab. Auf sie folgt der bereits erwähnte stichwortartige Katalog der Denkmäler, der auch einige neue Informationen zu den schon vor Jahrzehnten gemachten Funden bei einigen Gräbern liefert. Den Grabinschriften in lykischer Sprache aus Limyra, die immerhin etwa ein Drittel am bisher bekannten Gesamtbestand ausmachen, widmet sich mit dem unlängst verstorbenen Günter Neumann ein langjähriger Kenner der Materie. Seine Übersetzungsvorschläge und Kommentierungen bilden im Übrigen ein nützliches Korrektiv zu vielen der von Borchhardt vorgenommenen spekulativen Lesungen und Interpretationen einzelner Begriffe (siehe aber dessen davon unbeeindruckte Haltung dazu S. 460). Auffällig ist auch, dass persische Elemente, abgesehen von der kurzen aramäischen Inschrift TL 152, keine Rolle in den Texten spielen, was die weiter oben geäußerten Zweifel an einer zu engen Anlehnung in Limyra wie im gesamten Lykien an persische Verhältnissen stützt. Michael Wörrle wendet sich im Anschluss mit ebenso kenntnisreichen Einzelkommentaren den in griechischer Sprache verfassten sepulkralen Inschriften aus Limyra und dessen Chora zu. Sie enthalten eine Fülle wichtiger Informationen, die unter anderem die Onomastik betreffen. Überdies führt die Zusammenstellung, welche die bereits publizierten Texte mit einbezieht, nochmals eindringlich vor Augen, wie hoch der spätklassisch-frühhellenistischer Anteil an der Gesamtzahl der 82 Inschriften ist (etwas mehr als ein Drittel). Am Ende des Buchs steht schließlich ein Resümee Borchhardts, das einmal mehr die eigenen Standpunkte wiederholt und abgesehen davon eher einer Inhaltsangabe als einer Synthese gleicht.

An Jürgen Borchhardts herausragender und durch eine weit über antike Themen hinausgehende Belesenheit angereicherter Kenntnis Lykiens und dessen antiker Kultur kann kein Zweifel bestehen. Auch wenn man viele Deutungen von ihm und manchen seiner Mitarbeiter nicht teilen mag, stellt der Band dennoch einen nicht zu unterschätzenden Baustein im Hinblick auf das Verständnis einer der wichtigsten antiken Nekropolen Lykiens, ja Kleinasiens dar. Dass Borchhardt das Buch offensichtlich dazu genutzt hat, viele seiner Auffassungen gewissermaßen an der Kritik vorbei zu zementieren, erscheint vor diesem Hintergrund ein wenig unverständlich. Wenn man allerdings einen etwas anderen Blickwinkel einnimmt, sind es vielleicht gerade seine mit Verve vorgetragenen vielfältigen Thesen und oft unkonventionellen Gedankengänge, die der künftigen Forschung in Limyra und Lykien auf Jahre hinaus anregende Impulse geben werden.

Anmerkungen:
1 Jürgen Borchhardt / Günter Neumann / Klaus Schulz, Ein Totengericht in Lykien. Zum Grabmal des χñtabura in Limyra, in: Istanbuler Mitteilungen 19/20 (1969/70), S. 187–222, bes. S. 218–222.
2 Siehe dazu jetzt Michael Wörrle, Epigraphische Forschungen zur Geschichte Lykiens X: Limyra in seleukidischer Hand, Chiron 41 (2011), S. 377–415, hier S. 407f., der davon ausgeht, dass das Gymnasion in Limyra „keine sehr weit in das 3. Jahrhundert zurückreichende Vergangenheit hatte“.

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